Kommt jetzt die Stadtflucht?

Im Jahr 430 vor Christus kam über den Hafen von Piräus eine Epidemie nach Athen, die 25% der Stadtbewohner das Leben kostete. Die Oberschicht floh in die Berge und blieb dort noch über Jahrzehnte, bevor sie zurückkehrten und die Stadt wieder zum politischen und administrativen Machtzentrum der Antike ausbauten. Zurück blieb die ärmste Schicht.

Nun verläuft die aktuelle Pandemie bei weitem nicht so gefährlich, zumal insbesondere das Wissen um Hygiene und die heutigen Wohnverhältnisse eine Ausbreitung weitgehend verhindern können. Aber hat das aktuelle Geschehen langfristigen Einfluß auf die Lebensplanung der Menschen und wie entwickelt sich der Immobilienmarkt? Im Jahr 2015 lebten schon 54% der Weltbevölkerung in Städten. Die meisten Prognosen sagten bisher eine weitere Verstädterung voraus.

Das Land Brandenburg erwartete zu Beginn der Krise eine Stadtflucht und verbot den Berlinern die Einreise, selbst wenn diese Immobilien im Umland besaßen. Im Wuhan, wo die Corona-Pandemie ihren Anfang nahm, haben 5 Millionen Anwohner die Stadt gleich zu Beginn verlassen und die meisten sind auch nach der Öffnung nicht zurückgekehrt. Seit der Krise stehen, auch bedingt durch Pleiten und Arbeitslosigkeit, viele Immobilien im Stadtzentrum zum Verkauf. Das Wall Street Journal schrieb am 15. Juni, daß die Immobilienpreise im Umland von New York seit Beginn der Pandemie boomen.

Aus Deutschland gibt es bisher nur eine Studie zur Preisentwicklung von dem Portal ImmoScout24. Dort gibt man sich in den Marktberichten weiter optimistisch. „Die Nachfrage in den deutschen Großstädten bleibt hoch.“ Nach den Daten von ImmoScout24 hat die Corona-Pandemie nicht zu einer signifikanten Verschiebung der Nachfrage von der Stadt in ländlichere Gebiete geführt. Nach einer aktuellen Umfrage von ImmoScout24 haben 70 Prozent der Suchenden derzeit keine anderen Ansprüche an ihr neues Zuhause als vor Corona. Das bedeutet aber, daß immerhin 30% ihre Ansprüche geändert haben. Und das in der Krise gestiegene Angebot weist auf den Wandel zu einem Käufermarkt hin. Die Nachfrage nach Immobilien in Feriengebieten, sowie Eigentumswohnungen mit Terrasse oder Balkon sei darüberhinaus deutlich gestiegen.

Weltweit wurden in den vergangenen Wochen und Monaten positive Erfahrungen mit Homeoffice gemacht. Besonders Mitarbeiter in großen Unternehmen berichten, daß sie auch nach dem Lockdown überwiegend oder ganz im Homeoffice verbleiben sollen. Etliche Unternehmen investieren derzeit in eine entsprechende, digitale Infrastruktur. Für viele wird sich die Frage stellen, ob es unter diesen Umständen noch sinnvoll ist, in der Stadt zu verbleiben. Im Umland kann man für das gleiche Geld großzügiger und mit Garten wohnen. Viele litten extrem unter der gefängnisgleichen Isolation in einer städtischen Wohnung. Familien mit Kindern befanden sich teilweise in einer fast unerträglichen Situation. Viele Mütter in Mehrfamilienhäusern mußten die Kinder wegen der Kontaktbeschränkungen ganztägig im Haus behalten. Und sie hätten sich gewünscht, die Kinder zum Toben in einen Garten schicken zu können. Besonders In Anbetracht der angekündigten, womöglich jahrelangen, Beschränkungen werden viele eine weitere Anfahrt für gelegentliche Arbeitstage im Unternehmen gerne auf sich nehmen. Es ist unschwer zu erkennen, daß diese Option für untere Einkommensklassen nicht zur Verfügung steht, da die Jobs üblicherweise mit Präsenz verbunden sind.

Der Trend zum Leben auf dem Land war auch schon ohne Corona entgegen der allgemeinen Prognosen an vielen Stellen wahrzunehmen. Zum Beispiel in der Schweiz: «Die Schweizer Städte wachsen nur dank der Zuwanderung aus dem Ausland», sagt Martin Neff, der Chefökonom der Raiffeisenbank., während die inländische Stadtbevölkerung zunehmend in das Umland ziehe. Hier zeigt sich, was sich auch in vielen deutschen Städten entwickelt, daß nach Deutschland fließendes Investitionskapital die innerstädtischen Immobilien verteuert. Die Süddeutsche Zeitung berichtete ausführlich über Paris: „Knapp ein Viertel der Bewohner von Paris verbrachte, laut Handydaten, die zwei Monate Corona-Zwangspause auf dem Land. Je nach Vermögensstand im Zweitwohnsitz oder auf dem Klappsofa der Eltern. Auf den Immobilienseiten der Zeitungen konnte man mitverfolgen, wie die Nachfrage nach Häusern mit Garten außerhalb von Paris explodierte. Durch Corona beschleunigte sich, was ohnehin seit Jahren passiert. Die Franzosen entlieben sich von der Stadt der Liebe.“ Die aktuelle Situation verstärkt einen Trend, der vor allem Pariser Familien seit Jahren erfaßte: „Allein zwischen 2014 und 2018 mussten zwölf der insgesamt mehr als 600 Grund- und Vorschulen schließen.“

Städte bieten den Bewohnern in einigen Bezirken Oasen der Ruhe, Geräumigkeit und Lifestyle. Doch diese bevorzugten Stadtteile können sich angesichts der seit Jahren explodierenden, urbanen Immobilienpreise immer weniger Menschen, vor allem nicht mit Kindern, leisten. Dagegen ist das Stadt-Land-Gefälle in Bezug Lifestyle und Kultur immer kleiner geworden. Und das Internet steht überall zur Verfügung. Bei einem Lockdown sind öffentliche Begegnungsstätten (Freibäder, Kinos, Theater, Tanzlokale, Bars…) auf dem Land genauso wie in der Stadt geschlossen. In Gegenden, wo der Bewegungsradius eingeschränkt wurde, konnten Eltern ihren Kindern über Wochen nichts als Betonansichten bieten. Die Landbevölkerung hat dann aber immer noch die Natur in der Nähe, in der es sich relativ frei bewegen ließ.

Der Immobilienmarkt, besonders bei uns in Deutschland, bewegt sich schwerfällig. Frühestens am Jahresende wird man dauerhafte Markttrends einigermaßen sicher belegen können. Auch wenn allein schon durch die schrumpfenden Büroflächen die Mieten und Immobilienpreise in den Städten wohl nicht mehr steigen werden, darf man nicht das weiter starke Interesse von ausländischen Investoren an urbanen Immobilien übersehen. Doch in Zeiten von Lockdowns, Digitalisierung und Homeoffice wird das Landleben zunehmend attraktiv und die Infrastruktur wird sich verändern.

Nachtrag am 27. August 2020. RBB meldet heute auf Facebook: „Erstmals seit 2003: Berlin verliert Einwohner. Aktuell sind 3.762.456 Menschen mit Hauptwohnsitz in Berlin gemeldet (-7.039 zum Vorjahr).“